Zum 100. Geburtstag von Hildegard Knef am 28. Dezember 2025 spürt der Hamburger Comickünstler Moritz Stetter dem Schaffen und dem Mythos der Knef nach.
Sängerin, Schauspielerin, Schriftstellerin
Hildegard Knef war eine der schillerndsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Von Berlin über Hollywood war sie stets im Zentrum des Showgeschäfts und eine frühe Weltbürgerin. Sie trotzte Konventionen und erfand sich immer wieder neu. Vom Aufwachsen im Nationalsozialismus zum jungen Filmstar der UFA, Skandalen im Nachkriegsdeutschland bis hin zu ihren Erfolgen am Broadway und als Chansonsängerin – ihr Leben war ein ständiges Auf und Ab zwischen Ruhm und persönlichem Leid.
Moritz Stetter zeichnet das facettenreiche Porträt einer außergewöhnlichen Künstlerin, die mit „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ unsterblich wurde.
Lieber Moritz, vielen Dank, dass du dir die Zeit für unser Gespräch nimmst. Du bist in den 1980er- und 90ern im Schwarzwald großgeworden. Welche Rolle spielten Comic und Illustration für dich in deiner Kindheit und Jugend? Wann (und wie) reifte der Wunsch in der Zeichner zu werden und deine eigenen Geschichten zu erzählen?
Als kleines Kind bekam ich die ersten Asterix- und Donaldhefte zwischen die Finger und wusste sofort: Das will ich auch machen! Von da an kam für mich nichts anderes mehr in Frage. Meine ersten Geschichten hab ich für meine Geschwister gezeichnet, selbst zusammengetackert. Die Protagonisten waren unsere Stofftiere. Später habe ich für die Schülerzeitung gezeichnet und mit 15 hatte ich einen wöchentlichen Comicstrip in unserer Lokalzeitung, der lief bis ich 18 war. Spätestens da gab es kein Zurück mehr!
Gibt es Künstler*innen, die dich während der Schulzeit und des Studiums besonders geprägt und beeinflusst haben? Und zu welchen zeichnenden Kolleg*innen siehst du heute noch auf, bzw. lässt du dich inspirieren und motivieren?
In der angrenzenden Kleinstadt zu unserem Dorf gab es eine mit Comics recht gut ausgestattete Bibliothek. Dass das Medium Comic hierzulande sehr lange als Kindermedium galt, hatte ja den Vorteil, dass alle Comics ungeprüft in der Kinder-/Jugendlichenabteilung landeten. So kam ich sehr früh an so Zeug wie Terry Moore, Julie Doucet, Ralf König oder Robert Crumb, die einen großen Einfluss auf mich hatten. Später kamen französische Erneuerer des Mediums wie Manu Larcenet und Joann Sfar dazu, die ich nach wie vor als große Inspirationsquelle nennen würde. Es sind aber vermehrt Kolleg*innen hierzulande, die mich motivieren. Da möchte ich namentlich Barbara Yelin nennen, für ihre poetische Bildsprache, und Mikael Ross für seine beeindruckende Erzählkunst.
Welche Themen und Stoffe interessieren dich als Künstler besonders? Gibt es inhaltliche Überschneidungen zwischen deinen Comicprojekten? Woran orientierst du dich, wenn du auf der Suche nach neuen Themen für deine Langprojekte bist?
Zunächst mal: Habe ich Lust, mich zwei bis drei Jahre und 100-200 Seiten lang mit dieser Figur, diesem Thema zu beschäftigen? Und wenn man sich lange genug in ein Thema eingräbt, tun sich eigentlich immer Überschneidungen oder Parallelen auf. Hilde wollte sich, ähnlich wie Martin Luther, nicht begnügen und die Welt aus den Angeln heben. Ähnlich wie Beethovens Neunte taucht ihr Rosen-Evergreen immer wieder zu historischen Ereignissen auf, wie zuletzt bei Merkels Zapfenstreich. Bonhoeffer war im Widerstand gegen die Nazis,Hilde wuchs im Nationalsozialismus auf und versuchte sich zu arrangieren.
2023 hast du zusammen mit zahlreichen anderen Comicschaffenden wie Barbara Yelin, Birgit Weyhe und Michael Jordan das Anthologie-Projekt „Wie geht es dir?“ gestartet. Magst du uns ein bisschen über das Projekt und seinen diskursiven Ansatz erzählen? Was hast du aus dem Unterfangen über die Möglichkeiten, von Kultur als Akteur in gesellschaftlichen Konflikten gelernt? Wie war es für euch, nicht nur innerhalb des Comic-Projekts mit all diesen unterschiedlichen Interviewpartner*innen ins Gespräch zu gehen, sondern auch mit dem Buch bei Ausstellungen und Lesereisen in einer politisch aufgeladenen Zeit den Dialog zu suchen?
Nach dem 7. Oktober bemerkten wir einerseits ein großes Schweigen und andererseits ein großes Bedürfnis, sich auf „eine Seite“ zu schlagen. Während Corona wurden über Nacht alle Virologen, nun waren plötzlich alle Nahostexperten. Wir bemerkten im Bekanntenkreis die Angst und Verunsicherung betroffener Menschen. Da erstmal mit der empathischen Frage „Wie geht es dir?“ reinzugehen, erschien uns in der aufgeheizten Stimmung als der einzig schlüssige Ansatz. Die überwältigenden Reaktionen auf das Projekt haben uns gezeigt, was für eine Kraft das Medium Comic entfalten kann, wenn Menschen sich gesehen fühlen, sich wiedererkennen, sichtbar werden.
Vor „Knef“ hattest du bereits an anderen biografischen Graphic Novels gearbeitet. Comicbiografien sind ein beliebtes und durchaus auch kommerziell erfolgreiches Sujet im Comic – es ist bestimmt nicht leicht, sich als Autor auf diesem breiten Feld zu positionieren und künstlerisch Neuland zu erschließen. Gibt es Tropen und Stereotype im Biografiegenre, die du als Autor zu vermeiden suchst? Was macht für dich eine gute, erfolgreiche Comicbiografie aus, die du auch selbst gerne lesen würdest?
Die erste Frage die mich bei historischen/ biografischen Themen immer interessiert, ist: Was geht uns das heute an? Wo gibt es Parallelen, Bezüge zu heute? Was hat uns dieser Mensch noch relevantes zu sagen? Ich bin Fan von akribischer Recherche. Alles, was ich erzähle und jeder Charakterzug meiner Figur sollte auf mindestens einer Quelle beruhen. Ich verstehe den Reiz stark fiktionalisierter Biopics mit großer erzählerischer Freiheit. Aber das ist nicht mein Ansatz und ich bin auch sehr skeptisch, wo uns das in Zeiten von Fake News, KI und zusammengespartem Bildungswesen hinführt. Ich fürchte, die Menschen verlieren zunehmend die Kompetenz, Fiktion und historische Fakten auseinanderzuhalten, Quellen zu checken. Das Medium Comic birgt da große Potentiale, es kommuniziert durch seinen Abstraktionsgrad immer: War das wirklich so? Es ist kein Überwältigungsmedium und regt zum Nachdenken an.
Warum wolltest du dich mit Hildegard Knef beschäftigen? Wie war dein Verhältnis zu ihrer Person und ihrem Werk, bevor du dich an die Recherche gemacht hast? Warum hast du geglaubt, dass die Knef eine gute Protagonistin für deine Erzählung sein könnte?
Sie fand immer so am Rande meiner Wahrnehmung statt, ich wusste, sie ist eine coole Person, mit der ich mich eines Tages mal näher beschäftigen muss. Die wenigen Songs die ich kannte, stachen immer aus dem großen Einheitsbrei deutscher Unterhaltungsmusik heraus. Da war diese Melancholie, diese Coolness, diese Verletzlichkeit. Und um dann zu merken, dass die Knef eine wunderbare Protagonistin sein könnte und sich Hals über Kopf in sie zu verlieben, reichte ein kurzer Blick in ihren Wikipedia-Eintrag. Deine Knef ist selbstbewusst und angstbeladen zugleich. Kraftvoll und ständig der Kontrolle durch andere ausgesetzt. Voller Leben und einsam ... Das ist die Dualität, die das Leben und den Charakter nahezu aller Menschen ausmacht. Hilde ist so gesehen umwerfend menschlich. Und sie hat uns immer entwaffnend ehrlich daran teilhaben lassen.
Eine zentrale Szene, der du etliche Seiten widmest, ist ihre Begegnung mit Marlene Dietrich. Kannst du uns mehr über ihre Beziehung zueinander erzähen? Welchen Einfluss hatte Dietrich auf Knefs Persona und künstlerische Entwicklung? Was hat dich als Autor an diesem Doppel interessiert?
Marlene ist einerseits ein Vorbild. Hilde, die sonst fast ausnahmslos Männerfreundschaften pflegt, findet in dieser älteren Frau zum ersten mal eine echte Freundin und Vertraute. Die Begegnungen mit Marlene und Marilyn Monroe waren für mich sehr früh ein zentrales Motiv, da sie für Hilde zwei sehr gegensätzliche weibliche Rolemodel-Angebote darstellen. Später wird die Freundschaft zu Marlene zerbrechen. Hilde hat diesen unstillbaren Lebenshunger, Marlene zieht sich immer mehr zurück. Da war‘s dann auch vorbei mit dem Vorbild und Hilde musste ihren eigenen Weg finden.
Du hast dich für dein Szenario auf viele Originaltexte von Knef stützen können. Als Jahrhundertkünstlerin war sie schließlich nicht nur Schauspielikone und Musiklegende, sondern auch Schriftstellerin (und hat natürlich auch über die Jahre unzählige Interviews gegeben). Wie war das für dich als Autor aus dieser Myriade von Originaltexten die Stimme der Knef herauszudestillieren? Was ist das Besondere an ihrer Art zu sprechen und zu schreiben gewesen?
Das war natürlich ein unglaublicher Schatz, auf so viel Originalton zugreifen zu können. Meine Aufgabe als Autor war vorrangig, Spreu vom Weizen zu trennen, Quellen zu vergleichen, zu kompilieren und eine funktionierende Collage zu erstellen. Das Besondere an ihrem Tonfall ist eine gewisse Lakonie und Schnoddrigkeit, auch Berliner Schnauze genannt. Ihr Schreibstil hat gewisse Manierismen, sie bildet gerne Bandwurmsätze, schreibt oft assoziativ und verschluckt auch gerne mal ein Wort. Die Aufgabe besteht dannauch darin, irgendwann so in diesen Sprachduktus hinein zu geraten, dass man auch eigene Dialoge hinzufügen kann, ohne dass diese allzu unangenehm auffallen.
Ende des Jahres wird sich Hildegard Knefs Geburtstag zum 100. Mal jähren. Zum Jahresende wird es sicherlich zahlreiche Artikel und Erinnerungsbeiträge in den deutschen (und internationalen) Medien geben. Welche Bedeutung hat die Knef für uns im Jahre 2025? Was wünschst du dir, wie in der Berichterstattung zum 28. Dezember an sie erinnert wird?
Ich glaube, Hilde hat das Potential von einer jüngeren Generation völlig neu entdeckt zu werden. Die Rezeption ihrer Person war bis tief in die 2000er hinein größtenteils erschreckend misogyn, da wünsche ich mir eine möglichst breite Neubewertung. Sie ist ein tolles Rolemodel: Eine Frau, die sich nicht begnügt, die sich nimmt, was sie will und was ihr zusteht. Die ihre Potentiale entfaltet. Und dabei nicht zum „Girlboss“ transformiert, sondern zutiefst ehrlich und verletzlich bleibt.
Du hast am Ende deines Comics eine Hilde-Knef-Playlist angehangen. Was ist dein absoluter Favorit aus Knefs musikalischem Werk?
Das ist wirklich schwer. Zum einen ist das ein sehr früher Song, den sie gar nicht selbst geschrieben hat: „Illusionen“. Der berührt mich ganz besonders, transportiert glaub ich sehr gut dieses Lebensgefühl der Nachkriegszeit und erinnert ähnlich wie „Das Lied vom einsamen Mädchen“ so ein bisschen an die Songs von Nico. Der Schmachtfetzen „Nur mit dir“ rührt mich jedesmal zu Tränen und „Für mich solls Rote Rosen regnen“ ist halt einfach ein Megahit, ohne doof zu sein, das muss man erstmal hinkriegen!
Zum Autor
MORITZ STETTER, 1983 geboren, wuchs als Arbeiterkind im Schwarzwald auf. Nach einer Grafikdesign- und einer Trickfilmausbildung macht er sich 2008 als Zeichner und Autor von Graphic Novels sowie als Porträtzeichner, Illustrator und Workshopleiter selbstständig und lebt seitdem in Hamburg. Schwerpunkte seiner Arbeit bilden biografische und historische Stoffe, Reflexionen unserer Zeit sowie die visuelle Vermittlung komplexer Sachthemen.
Er adaptierte u. a. Franz Kafkas „Das Urteil“, legte Comicbiografien über Beethoven, Dietrich Bonhoeffer und Martin Luther vor und veröffentlichte den Comic-Essay „Uns fürchtet nur das Unbekannte“ (2019, Jaja Verlag) über seine Indienreise im Rahmen des Goethe-Instituts. Er ist außerdem Mitinitiator und -kurator des Comicprojekts „Wie geht es dir?“, ein gezeichneter Dialog gegen Antisemitismus, Rassismus und Hass (2025, avant verlag).
(Quelle: Carlsen)


