Fliegender Perseus
Bild aus "Medusa"

War Medusa ein Monster? War Perseus ein Held? Nicht in diesem Comic von André Breinbauer. Der WendeComic erzählt den bekannten Mythos aus der Perspektive beider Figuren radikal anders: Medusa ist nicht das Ungeheuer, das aus Bosheit Menschen zu Stein verwandelt. Von einem Gott missbraucht und einer Göttin dafür bestraft ist sie ein zweifaches Opfer der Götter. Perseus hingegen ist noch ein Kind und Spielball der Mächtigen.

Das Besondere der Graphic Novel ist zum einen, dass sie von beiden Seiten gelesen wird. In der Mitte treffen Medusa und Perseus sowie ihre Geschichten aufeinander. Zum anderen sorgt ein feministischer Blick auf den Mythos dafür, dass der Comic sich grundlegend von anderen Medusa-Interpretationen unterscheidet. André Breinbauer war mit „Medusa und Perseus” Finalist des Comicbuchpreises 2021 der Berthold Leibinger Stiftung.

ANDRÉ BREINBAUER, 1973 in Passau geboren, studierte Grafikdesign an der Kunstakademie Nürnberg. Seit 2005 lebt er als freischaffender Illustrator und Comiczeichner in Wien. Breinbauers Comics wurden in diversen Zeitschriften und Anthologien wie „Echo des Wahnsinns” mit H.P. LovecraftAdaptionen veröffentlicht. Er schuf Beiträge u.a. für das MAK - Österreichisches Museum für angewandte Kunst sowie das SLASH Filmfestival. Bis heute gibt der Künstler Kurse fürs Comiczeichnen an der Zeichenfabrik Wien. Schon als Kind weckte die Serie „Unterwegs mit Odysseus” seine Faszination für die griechische Mythologie, die ihn seither nicht mehr loslässt. In seinem Graphic Novel-Debüt „Medusa und Perseus” widmet er sich einer seiner Lieblingsfragen: Wer ist hier eigentlich wirklich Held*in und wer Monster? Das Interview ist der Pressemappe des Carlsen Verlags entnommen.

Das Interview

Lieber André, an dieser Stelle erstmal ein großes Dankeschön, dass du dir die Zeit für unser Gespräch nimmst. Zu Beginn würde ich gerne mehr über deinen Einstieg ins Comicgeschäft erfahren. Wann hast du den Comic für dich entdeckt und weißt du noch, was dich zu dem Medium hingezogen hat?

Meine große Liebe zu den Comics hat ihren Ursprung natürlich in meiner Kindheit, ganz klassisch mit „Fix und Foxi“, „Micky Maus“ und „Asterix und Oberlix“. Die bekam ich meistens als Kiosk-Mitbringsel von meinen Eltern. Oder wenn ein bisschen Taschengeld zusammenkam, kaufte ich sie mir selbst. Ich konnte noch nicht lesen, aber die Geschichten waren auch nur durch die Bilder gut nachzuvollziehen. Mein Cousin (der 5 Jahre älter war) zeigte mir irgendwann wie man Ottifanten zeichnet. Von diesem Erfolgserlebnis angespornt, zeichnete ich diese Figur tagelang in tausend lustigen Varianten: kotzend, lachend, böse usw. Doch das wurde irgendwann langweilig und ich erfand eigene Figuren; erst einen Menschen, dann einen Hund und eine Katze. Als mir meine Mutter dann ein Schulheft mit leeren Seiten kaufte, ging es auch gleich los mit eigenen Comics. Ich wollte immer Geschichten erzählen, aber es fiel mir sehr schwer, längere Texte zu verfassen. Erst mit 14 wurde bei mir Legasthenie diagnostiziert, aber damals gab es dafür noch kein gesellschaftliches Bewusstsein, und meine Einschränkung wurde im Deutschunterricht nicht berücksichtigt. Meine Comics gaben mir die Möglichkeit, dieses Handicap zu umschiffen. Dialoge und kürzere Texte fallen mir viel leichter, aber trotzdem muss jeder Text korrigiert werden (inklusive diesem hier). Im Grafikdesign-Studium lernte ich dann auch ein paar Gleichgesinnte kennen und wir brachten im Eigenverlag einige Comicanthologien raus. Der Austausch mit anderen Zeichner*Innen war auch immer eine große Inspiration.

Welche Zeichner*innen haben dich als Comicleser und späterer Comickünstler geprägt?

In meiner Jugend war es Bernie Wrightson – ich liebte seine Schraffuren und seinen realistischen Stil der etwas von Gustave Doré hat. Natürlich lag es auch an seinen Horrorgeschichten, die er so wundervoll ausschmückte mit gekonntem Lichtund Schattenspiel. Um Moebius kommt man natürlich auch nicht vorbei, wenn es um bedeutsame Comiczeichner*innen geht. Durch das Kunststudium änderten sich mein Stil und meine Vorlieben. Zuerst versuchte ich mich eher an realistischen und anatomisch richtigen Zeichnungen. Aber das kostet viel Zeit und Geduld und bremste mich irgendwie auch aus. Alles wirkte zu starr und verkrampft in meinem Realismus. Dave Cooper, Christophe Blain und Blutch brachten einen neuen Schwung in meinen Stil und Zeichenstrich. Meine Tuschezeichnungen wurden immer dreckiger und expressiver, d.h., ich achtete nicht mehr auf perfekte Linien und liebte es, mit trockener und lasierender Tusche zu arbeiten. Michel Rabagliati ist Vorbild wegen seiner Erzählweise. Er verwendet ein klares, aufgeräumtes Layoutraster und seine Szenarien haben eine bestechend einfache Erzählstruktur. Er baut seine Charaktere sehr schön aus und man sieht von Band zu Band, wie sie sich die Figuren entwickeln.

Wie kam es nun zu dem aktuellen Projekt MEDUSA UND PERSEUS? Die MedusaLegende werden die meisten Menschen kennen, aber vermutlich aus vereinfachten Kinderversionen der Perseus-Geschichte oder Filmen wie „Der Kampf der Titanen“. Kanntest du die Ovid-Version? Was hat dich an der Geschichte fasziniert?

Ich arbeitete vorher schon geraume Zeit an einer an Homers „Odyssee” angelehnten Geschichte, mit dem Unterschied, dass sie in der heutigen Zeit spielen sollte. Aber die Arbeit daran stellte sich als immer schwieriger heraus und wuchs mir langsam aber sicher über den Kopf. Das Projekt wurde zu meiner eigenen Odyssee. Ich hatte auf Arte eine Dokumentation über Jiro Taniguchi gesehen, in der er über seine Herangehensweise spricht: Er arbeitet sich einfach von Seite zu Seite voran. So wollte ich es auch machen, aber dann verlor ich nach 70 Seiten den Faden und musste die Pausetaste drücken. In dieser Zeit lief in Wien die Ausstellung „Bunte Götter“ mit farbig rekonstruierten antiken Statuen. Sie interessierte mich, denn ich war mit der griechischen Mythologie noch lange nicht fertig und ich dachte, wer weiß, vielleicht werde ich dort von einer Muse geküsst. Aber dass diese Muse der von Rubens gemalte Kopf einer Gorgonin sein würde, hätte ich nicht gedacht. Das Gemälde „Das Haupt der Medusa“ im Kunsthistorischen Museum zog mich in seinen Bann und ließ mich nicht mehr los. Ich kannte natürlich die erwähnten Versionen aus Filmen und Kinderbüchern, aber ich wollte herausfinden, welches Potential noch in dieser Sagengestalt steckt. Doch im Unterschied zur „Ilias” und der „Odyssee” gab es viele unterschiedliche Überlieferungen und von denen wiederum verschiedene Versionen und Interpretationen. Bei der Recherche stolperte ich über Ovids römische Version der Sage. Seine Erzählung unterscheidet sich minimal von der gängigen griechischen Version, aber dafür enthält sie eine komplett andere „Origin Story“ von Medusa, welche mich überzeugte, mich mit dieser faszinierenden Figur und ihrer Geschichte tiefer zu beschäftigen.

Cover MedusaMit dem Aufkommen der zweiten feministischen Welle änderte sich auch die kulturelle Lesart der Medusa-Figur, Hélène Cixous‘ feministische Schrift „Das Lachen der Medusa“ z.B. deutete Medusa zu einem ermächtigenden schöpferischen Symbol um. Für viele Autor*innen und Künstler*innen der Neuzeit dagegen ist der Kern der Medusa-Erzählung der Missbrauch und der Femizid. Welche Rolle spielt die kulturelle Auseinandersetzung der letzten Jahre für dich und deine Erzählung?

Mein Medusa-Projekt hat so einige Entwicklungen hinter sich, deswegen hat die Arbeit daran auch sehr lange gedauert. Ich tastete mich langsam an das Buch heran. Zuerst wollte ich die Geschichte von Medusa nur aus ihrer Perspektive erzählen. Doch das wäre der Figur des Perseus nicht gerecht geworden, schließlich hat jede Figur ihren eigenen Hintergrund und Werdegang. Daraus folgte das Konzept, einen Wendecomic zu machen, eine Erzählform, welche ich eher aus dem Kinderbuchbereich kannte. Es war mir wichtig, die Geschichte beider Figuren gleichberechtigt zu erzählen und so einen emotionalen Perspektivwechsel zu erzeugen. Ich arbeitete abwechselnd an beiden Figuren, um die zwei Seiten in Umfang und Inhalt aufeinander abzustimmen. In den Medien kam damals passenderweise das #metoo-Thema auf. Ich sah mir viele Interviews und Dokumentationen an und meine Haltung zu Medusa wurde dadurch sicher beeinflusst. Auch wenn mir die feministische Interpretation der Figur anfangs gar nicht so vertraut war, fühlte ich mich in meiner Neuinterpretation der Sage bestätigt. Das Schwierige ist natürlich den männlichen Blick, den man als Zeichner automatisch hat, neu zu justieren. Ich habe mir dazu Rat und Beistand von guten Freundinnen geholt, mit denen ich die Problematik immer wieder diskutiert und reflektiert habe. Es war ein intensiver Lernprozess für mich, bei dem ich immer wieder umdenken und in Konsequenz den Comic mehrfach komplett überarbeiten musste. Meine Medusa war zuerst eine Femme Fatale, welche sich am männlichen Geschlecht rächt. Die ihren Körper einsetzt, um dann den Krieger im richtigen Moment zu versteinern. Aber ich erkannte schnell, dass so ein simples, veraltetes Klischee eigentlich nicht wirklich zu ihrem Charakter passte.

Medusa ist sicherlich eine der meist dargestellten Figuren der Antike, vor allem ihr abgetrennter Kopf. Rubens hast du ja schon erwähnt, aber auch Caravaggio, Rodin und viele andere haben Medusa verewigt. Was hat dich an der Darstellung der Figur quer durch die Jahrhunderte interessiert und wie wolltest du deine Version davon absetzen?

Zu Beginn wollte ich ein ganz neues Character-Design für sie finden, und ich klickte mich durch das Internet, um nach Darstellungen von Medusa zu suchen und dann mit ihnen zu brechen. Aber mit der Zeit gelangte ich zu der Überzeugung, dass es besser sei, eher das kulturell etablierte Bild zu bedienen, damit der Kontrast zur unkonventionellen Auslegung ihres Innenlebens und ihres Handelns umso besser wirkt.

Die andere Hälfte deines Buchs handelt von dem klassischen Helden Perseus, den du eher als Kind als einen jungen Mann darstellst. Warum hast du dich für diese Interpretation der Figur entschieden?

Es gibt zwei Punkte die mir hier wichtig waren. Einerseits sollte die Leser*innen die Welt, in welche Perseus geworfen wird, mit einem naiven Blick erkunden. Alles ist neu für ihn. Ein älterer Perseus würde eher wie ein dümmlicher und selbstgerechter Krieger wirken. Ich wollte dieses Klischee des antiken Helden gleich von Anfang an zerstören. Der Junge sollte sich erst in dieser Welt zurechtfinden müssen und auch eine Entwicklung durchmachen. Davon angetrieben, seine Mutter retten zu müssen, um dann doch festzustellen, dass sein Vorhaben nicht so einfach werden wird und an sich selbst zweifelt. Der zweite Punkt ist der Schluss der Geschichte. Ich wollte den klassischen Ausgang des Aufeinandertreffens der zwei Figuren nicht ändern - es sollte so bleiben, wie wir es aus Büchern und Filmen nur zu gut kennen. Doch dadurch, dass Perseus eben noch ein Kind ist, verändert sich die Sichtweise auf den Schluss und wie es in der Sage danach weitergeht. Unsere Vorstellung von Gut und Böse und von Heroismus wird, wie auch auf der Medusa-Seite, erneut unterminiert.

Dein Buch hat zwei Cover und erzählt die Geschichten jeweils getrennt. Wenn man mit einer Geschichte fertig ist, dreht man das Buch um und liest die andere - in der Mitte treffen sich die Erzählung auf einer Splashpage. Je nachdem, ob man die Perseus- oder die Medusa-Perspektive zuerst liest, wird man ein ganz anderes Lektüreerlebnis haben. Welche Lese-Reihenfolge würdest du empfehlen?

Ich würde keine Lese-Reihenfolge empfehlen, sondern eher ein Experiment versuchen. Wenn man eine der zwei Seiten gelesen hat, sollte man sich das Gefühl, die Vorstellung vergegenwärtigen, welche man bezüglich der jeweils anderen Figur bzw. ihres Teils der Geschichte hat. Welches (Vor-) Urteil hat man über sie gefällt, und was erwartet man im anderen Teil über sie zu erfahren? Fast zwangsläufig verschiebt sich die Perspektive zugunsten der Figur, die man zuerst gelesen hat. Man kann das mit Freunden testen, wenn sie die andere Figur zuerst gelesen haben. Und dann ist es bestimmt interessant zu sehen, wie sich die Identifikation und Parteinahme beim Lesen der zweiten Seite verschiebt.

Weißt du schon, was dein nächstes Projekt sein wird?

Ja, diesmal verlassen wir die Erde und begeben uns ins All. Ein außergewöhnliches Ereignis fordert einen außergewöhnlichen Helden, um die Menschheit bzw. den Planeten Erde zu retten. Aber mehr will ich noch nicht verraten.

(Quelle: Carlsen)

 

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